Schabbat beziehungsweise Sonntag

Auszeit vom Alltag: Schabbat beziehungsweise Sonntag.


Eine christliche Stimme

Kurzfassung

Gott sei Dank, es ist Sonntag! Aber was ist das eigentlich, der Sonntag?

  • Jeder Sonntag ist ein Ostertag. Das macht ihn schön.
  • Stirbt der Sonntag am Wochenende? Der Sonntag ist nicht der letzte, sondern der erste Tag der Woche, der Tag nach dem Sabbat.
  • In einem neuen Licht. Gott lässt seinen Christus nicht in der Nacht.
  • Da kommt Freude auf. Der Ostertag, und der wöchentliche Ostertag, ist der erste Tag einer verwandelten Wirklichkeit. Lassen wir das zu? Lassen wir uns aufrichten, üben wir – nicht nur – sonntags den aufrechten Gang?
  • Tag des Herrn. Nicht des Vorstandsvorsitzenden Herr Dr. Müller, sondern eines aus dem Tod geretteten Gerechten. Des, in Gottes Spur, radikal anderen Herrn.
  • Der Sonntag ist „der achte Tag“. Acht, Symbolzahl der Vollendung und der Ruhe. Acht Menschen birgt die Arche. Taufbecken sind oft achteckig. Grund zum Lebensmut, zu einem Leben in heiterer Gelassenheit: Freude.

Heute kämpfen Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam um die Bewahrung des Sonntags, um seine aus Zwängen und Routinen befreiende Kraft. Wir haben es vom Sabbat gelernt. Haben wir es gelernt? In Zeiten von Corona, des rund-um-die-Uhr-Home-Office, in Zeiten, in denen wir mit einem Click alles jederzeit bestellen können, ein vergeblicher Einsatz? Treue Erinnerung an die Ursprünge – hilft. 

– Prof. Dr. Susanne Sandherr


Langfassung

Gott sei Dank, es ist Sonntag! Aber was ist das eigentlich, der Sonntag? Das Wort klingt ja ziemlich heidnisch: Der Tag der Sonne, der Sonnengottheit, wie unser Montag ursprünglich der Tag der Mondgottheit ist. Die Planetenwoche. In den romanischen Sprachen ist der Sonntag hingegen kenntlich als Tag des Herrn (lat. dies dominica, franz. dimanche, ital. domenico, span. domingo).

Im katholischen „Gotteslob“ findet sich ein Loblied auf den Sonntag (GL 103). Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat den Sonntag liturgisch wieder ins rechte Licht gerückt, und die drei Strophen des Liedes sind eine Resonanz jener Rückbesinnung auf den Sonntag, seine vielfältigen Bedeutungen und bedeutenden biblischen Wurzeln, auf sein bleibendes Wurzeln im Glauben Israels. „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18)

Vielleicht lesen und meditieren Sie einmal dieses Lied – auch wenn wir es unter Corona-Bedingungen noch nicht gemeinsam singen dürfen.

Was ist das eigentlich, der Sonntag?

  • Der Sonntag ist der Tag, an dem die christlichen Gemeinden des Todes und der Auferweckung Jesu Christi gedenken: Jeder Sonntag ist ein Ostertag. Zur Vergegenwärtigung von Leben, Tod und Auferstehung Christi versammelt sich die Gemeinde am Sonntag. Sie hört das Wort der Schrift, sagt Gott Dank, sorgt für die Armen und bricht das Brot.
  • Stirbt der Sonntag am Wochenende? Einer meiner Lehrer an der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät replizierte, wenn wir ihm ein schönes Wochenende wünschten: Einen schönen Sonntag!  Der Sonntag ist, anders als heute mehrheitlich gefühlt und überdies im bürgerlichen Kalender festgelegt, nicht der letzte, sondern der erste Tag der Woche, anders gesagt: der Tag nach dem Sabbat (Apg 20,7).
  • „Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab. Da sahen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war; sie gingen hinein, aber den Leichnam Jesu, des Herrn, fanden sie nicht. Und es geschah, während sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.“ (Lk 24,1-6).
  • In einem neuen Licht. Gott lässt Jesus, seinen Christus, nicht in der Nacht des Todes, sondern ruft ihn ins Licht. Das ist so viel mehr als ein Rückruf. Unter den sieben Schöpfungstagen gilt darum nicht der siebte, Gottes geheiligter und gesegneter Ruhetag (Gen 2,1-3), als Vorbild des Sonntags, sondern der erste Tag, der Tag, an dem Gott das Licht erschafft und Licht und Finsternis trennt: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis. Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag“ (Gen 1,3-5).
  • Die Auferstehung Jesu markiert den Beginn einer neuen Schöpfung. Der Ostertag, und der wöchentliche Ostertag, der Sonntag, ist der „erste Tag“ einer verwandelten Wirklichkeit. Wer bereit ist, in der Taufe mit Christus das Leben zu wagen, hat Anteil an, ja wird selbst Teil jener neuen Wirklichkeit. „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17). Da kommt Freude auf. Lassen wir diese Freude zu, lassen wir sie in unser Leben ein, geben wir dem Neuen, dem geschenkten neuen Leben Raum? Lassen wir uns aufrichten, üben wir – nicht nur – sonntags den aufrechten Gang?
  • Manchmal seufzen wir: Das war nicht mein Tag! Wessen Tag war es dann? Der Sonntag ist der Tag des Herrn. Nicht der Tag des Vorstandsvorsitzenden Herr Dr. Müller oder des Freiherrn von Maier, oder anderer Herren und Herrschaften, sondern der Tag des auferstandenen Kyrios Jesus Christus (Kyrios, griech.: Herr; in der frühen griechischen Bibelübersetzung, der Septuaginta, steht dieses Wort für den hebräischen Gottesnamen JHWH). Jesus wird, in Gottes Spur, der, wirklich und wahrhaftig, andere Herr.
  • Sonntag, Tag des Herrn, das ist der Tag des von Gottes eigenem Leben durchdrungenem, Gottes Leben in seinem Leben lebenden Mannes aus Nazaret. Die Evangelien zeigen Jesus als den, der Gottes unbedingtes Wohlwollen für die Schöpfung, Gottes Geschenk der Befreiung aus Sklavenhäusern aller Art, und den erlösenden Gottesbund verkörpert. Schon hier zeigt sich: der christliche Sonntag, der Tag des Herrn, des ganz anderen Kyrios Jesus, ist durch die Heiligen Schriften und den Glauben Israels und durch die Sabbatfrömmigkeit geprägt, durch und durch, und zugleich trägt er der so zarten und zerbrechlichen wie überwältigenden Gotteserfahrung in Jesus von Nazaret Rechnung, setzt er als wöchentliche Auferstehungsfeier einen ganz eigenen Akzent.
  • Der Sonntag ist der Tag der Sonne. Das ist keine Rückkehr zur kultischen Verehrung von Sonne, Mond und Sternen, so lieb und teuer sie uns sind: Christus wird, in der Spur des biblischen Gottes, als „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20) bekannt.   
  • Der Sonntag ist „der achte Tag“. Im antiken und antiken biblischen Denken ist die Acht nicht eine Zahl neben anderen, sondern Symbol der Vollendung, der Vollkommenheit, der Ruhe. Acht Menschen überlebten in der Arche (Gen 6,18). Christliche Taufbecken sind, vermittelt über den 1. Petrusbrief (1 Petr 3,20), in der Folge oft achteckig. Die Taufe steht für die Rettung aus dem Ausweglosen, aus dem sicheren Untergang – und für einen undenkbaren, unvorhersehbaren, gottgeschenkten Neubeginn.  Wenn das nicht ein guter, wenn das nicht fester Grund ist: für Mut zum neuen Leben und für ein Leben in heiterer Gelassenheit, in österlicher Freude – was dann?
  • Die urchristlichen Gemeinden begehen den „Tag des Herrn“ (Offb 1,10) „am ersten Tag der Woche“ (Apg 20,7; im griechischen Bibeltext steht: am ersten Tag nach dem Sabbat). Sie erinnern sich Jesu an einem normalen Arbeitstag, mit Schriftlesungen und deren Auslegung, mit einem Mahl, so gut sie es mit den Anforderungen des Werktags vereinbaren können. Den Sabbat heiligen sie weiterhin. Er ist kostbar. Erst im Ringen um die eigene, noch schwache Identität ändert sich dies nach und nach, und Kaiser Konstantin verlegt 321 den wöchentlichen Ruhetag auf den Tag der Sonnengottheit (dies solis).

Als wäre immer Sonntag

Wagen wir nun einen Blick in unsere eigene Zeit. Die Inzidenzwerte sinken, aber noch immer leben wir unter dem Eindruck der Pandemie. Ist der christliche Sonntag ein Pandemie-Opfer?

Der italienische Autor Marco Lalli schrieb zu Beginn der ersten Corona-Welle: „Als wäre es immer Sonntag. Dieser Satz fiel mir gestern ein und beschreibt ein wenig den Zustand in der relativen Isolation. Die Tage sind einförmig geworden. Ich sitze sowieso immer am Schreibtisch und schreibe.“ Da müsse er sich nicht groß umstellen. Dennoch fühle er sich verraten und leer. Schon als Kind habe er die Sonntage gehasst.

Die Pandemie, ein einziger trauriger Sonntag? Keiner schiebt mehr für mich die bunten, von Statisten belebten Kulissen? Ist das nicht ein Luxusproblem?

Dennoch, das Phänomen „Trauriger Sonntag“ ist nicht neu. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts sangen Wolf Biermann und Franz Josef Degenhardt davon. Heute kämpfen christliche Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam um die Bewahrung des erwerbsarbeits- und konsumfreien Sonntags, um die bedrohte soziale, solidarische, aus Zwang und Bedrückung befreiende Kraft. Wir haben sie vom Sabbat gelernt. Haben wir sie gelernt? In Zeiten des rund-um-die-Uhr-Home-Office, in Zeiten, in denen wir mit einem Click alles jederzeit bestellen können, ein vergeblicher Einsatz? Die treue Erinnerung an die vielen Dimensionen des christlichen Sonntags – hilft. 

– Prof. Dr. Susanne Sandherr


#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst

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