Schabbat beziehungsweise Sonntag

Auszeit vom Alltag: Schabbat beziehungsweise Sonntag.


Eine jüdische Stimme

Kurzfassung

Höhepunkt jeder Woche ist der Schabbat, der siebente Schöpfungstag, an dem wir in Nachahmung Gottes von unserem Tagewerk ruhen sollen. Die Geschäftigkeit des Alltags soll pausieren, damit wir uns an diesem Tag anderen Dingen widmen können, für die sonst wenig Zeit bleibt: Familie, Freunde, Torahstudium, Gottesdienst und Geselligkeit in der Synagoge, Ausruhen und Auftanken. Schabbat meint nicht untätiges Herumsitzen, sondern aktives Streben nach anderen Dimensionen unseres Seins. Als Hilfestellung formulierte die jüdische Tradition einen umfangreichen Katalog von Tätigkeiten, die nicht verrichtet werden sollen, damit wir Ruhe finden und diese Freiheit von Arbeit ebenso den Menschen und sogar auch den Tieren in unserer Umgebung gewähren.

Der Schabbat ist kaum denkbar ohne die festlichen Mahlzeiten im Kreis von Familie und Freunden, eingeleitet von Segenssprüchen über Kerzen, Wein und zwei geflochtene Brotzöpfe. Die Gebete und Lieder in der Synagoge preisen Gottes Schöpfungswerk, im Morgengottesdienst steht die Lesung des Wochenabschnitts der Torah im Zentrum. Dieser Text ist auch der Fokus von Torahstudium und -auslegungen an diesem Tag. Diese aktiven Phasen des Schabbats wechseln ab mit Zeiten der Ruhe und des Kraftschöpfens, bis dann am Samstagabend mit der Hawdalah-Zeremonie, dem Segen über Wein, Licht und Gewürze, die Rückkehr in den Alltag erfolgt.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


Langfassung

Das erste, was in der Bibel heilig genannt wird, ist ein Tag: „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte“ (Gen 2, 3). Die ersten sechs Schöpfungstage fand Gott „gut“, aber den siebenten Tag erklärte er für heilig. Heiligkeit ist also ein Konzept, dass zuerst auf Zeit angewendet wird.

Die hebräische Grundbedeutung des Wortes „heilig“ („kadosch“) meint „abgetrennt, unterschieden sein“. Der Fluss der Zeit wird gegliedert, indem besondere Zeiten darin abgehoben werden von den übrigen Tagen. Die Unterscheidung in Alltag und in herausgehobene Tage, die diesen durchbrechen, gibt es auch in Bezug auf Feiertage, und zwar wohl in allen Religionen und Kulturen. Aber Kalender – und mit ihnen auch die Bestimmung von Feiertagen – folgen den Gestirnen, sie richten sich nach der Form des Mondes oder der Stellung der Sonne und dementsprechend berechnen Menschen das Datum der jeweiligen Feiertage. Hingegen ist der Schabbat als der siebente Schöpfungstag völlig unabhängig von den Gestirnen. Er ist nach biblischem Zeugnis von Gott gesetzt, und er ist im besten Sinne universal, nämlich das ganze Universum umfassend. Das begründet die besondere Heiligkeit des Schabbats.

Der Schabbat kehrt zwar seit der Schöpfung alle sieben Tage wieder, aber er geschieht nicht von selbst. Er kann unbemerkt vorübergehen, wenn er nicht aktiv von uns Menschen geheiligt wird. Doch wie macht man das? Wie begeht man einen solch besonderen Tag? In den Zehn Geboten heißt es:

„Gedenke des Schabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Schabbat des Ewigen, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Ewige Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tag. Darum segnete der Ewige den Schabbattag und heiligte ihn.“ (Ex 20, 8-11)

Arbeitsruhe ist also das wesentliche Merkmal des Schabbats. An diesem Tag sollen wir Gott nachahmen, indem wir keine schöpferische Tätigkeit ausüben und uns ausruhen. Dabei geht es nicht darum, den ganzen Tag mit Nichtstun zu verbringen. Schabbatruhe meint den Verzicht darauf, etwas Neues hervorbringen oder Vorhandenes ändern zu wollen. In der Mischnah (mSchabbat 7:2) werden 39 spezifische Tätigkeiten aufgeführt, die unterlassen werden sollen. Dazu gehören Arbeiten beim Bau, in der Landwirtschaft (z.B. Säen, Ernten, Garben binden, Früchte lesen), der Textil- und Lederfabrikation (Weben, Spinnen, Nähen, Gerben, Schreiben und Radieren von Pergamenten u.a.), Vorarbeiten der Essenszubereitung (Mahlen, Sieben, Kneten, Backen), Feuer anzünden oder löschen. Auch das Tragen, also der Transport von Gegenständen außerhalb des Hauses gehört dazu und der „letzte Hammerschlag“, also die Vollendung einer Sache, selbst wenn es sich nur um wenige Handgriffe handeln würde. Viele dieser Tätigkeiten gehören nicht mehr zur Lebenswelt der meisten Menschen, aber manches eben doch. Die Frage des Feueranzündens bzw. –löschens wurde in der Moderne auf den Gebrauch von Elektrizität erweitert. Nach orthodoxer Auffassung wird darunter das Schließen bzw. Aufheben eines Schaltkreises verstanden – das schließt also den aktiven Gebrauch von elektrischen Geräten aus, es sei denn, das An- und Ausschalten wird durch vorprogrammierte Schaltuhren vorgenommen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, welche der Tätigkeiten zu unterlassen seien, denn beispielsweise können elektrische Geräte und Kraftfahrzeuge auch helfen, körperliche Anstrengungen zu erleichtern und Schabbatfreude zu verbreiten. Einig sind sich alle darin, dass Verbote übertreten werden können und sollen, sobald dies zur Rettung von Leben notwendig ist (Pikuach Nefesch).

In der zweiten Fassung des Dekalogs, in 5. Mose 5, wird der soziale Aspekt des Schabbats betont. Schabbat ist kein Privileg von freien und gutsituierten Menschen – alle sollen sich der Schabbatruhe erfreuen können: Kinder, Sklaven, Vieh, Fremde. Die Nachahmung Gottes bezieht sich hier auf die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens – so wie Israel aus dieser Versklavung erlöst wurde, sollen alle Geschöpfe an diesem Tag Freiheit erfahren. Wenigstens für einen Tag geben Menschen ihren Anspruch auf Ausübung von Kontrolle und Herrschaft über andere Menschen und über die Natur auf. Die Schabbatruhe meint also nicht vorrangig Faulenzen, sondern Freiheit und die Hingabe an andere Formen des aktiven Seins. So ist es Zweck des Schabbats, Zeit für andere Aktivitäten zu gewähren, die unter der Woche vernachlässigt werden. Im Vordergrund steht, Zeit mit der Familie zu verbringen, Gemeindegottesdienste in der Synagoge zu besuchen und sich dem Torahstudium hinzugeben.

Wie feiert man Schabbat?
Über das Gebot der Ruhe hinaus ist Schabbat durch eine Fülle von Ritualen gekennzeichnet, um diese Zeit von den übrigen Tagen der Woche abzuheben. Entsprechend der vom Schöpfungsbericht beschriebenen Ordnung („Und es ward Abend und es ward Morgen…“) beginnt Schabbat am Freitagabend mit dem Sonnenuntergang und erstreckt sich bis zum Samstagabend, sobald drei Sterne am Himmel zu sehen sind. Der erste Gottesdienst in der Synagoge heißt „Kabbalat Schabbat“ („Empfang des Schabbat“), daran schließt sich das Abendgebet an. Zu Hause werden, traditionell von den Frauen, festlich zwei Kerzen angezündet. Die Kinder werden von den Eltern mit dem Wunsch „Möge dich Gott wie Ephraim und Menascheh werden lassen“ (die Jungen) bzw. mit „Möge dich Gott wie Sarah, Rebekka, Rachel und Lea werden lassen“ gesegnet, dann folgt der Priestersegen. Das festliche Abendessen wird mit dem Kiddusch, dem Segen über Wein oder Traubensaft, eröffnet. Nach einem rituellen Händewaschen folgt der Segen über zwei geflochtene Schabbatbrote, die Challot. Das Essen ist ein Fixpunkt des Familienlebens, aber es ist auch üblich, andere Gäste dazu einzuladen. Schabbatlieder werden gesungen, kurze Torahauslegungen gehalten, zum Abschluss gemeinsam das Tischgebet gesungen.

Am Schabbatmorgen steht im Mittelpunkt des Gottesdienstes die Lesung des Wochenabschnittes der Torah. Viele Gebete und Psalmen preisen das Schöpfungswerk Gottes. Danach wird wieder Kiddusch mit Segenssprüchen über Wein, Challot und mit einer festlichen Mahlzeit gehalten. Es gibt auch ein Nachmittagsgebet, das in manchen Familien und Synagogen dann übergeht in die dritte Schabbatmahlzeit. Zum Ausgang des Schabbats, wenn schon drei Sterne am Himmel zu sehen sind, folgt die Zeremonie der Hawdalah („Unterscheidung“), die die Verabschiedung des Schabbat und den Beginn der Woche markiert. Dazu gehören wieder Wein/Traubensaft, Licht und eine Gewürzdose. Eine aus mehreren Dochten geflochtene Kerze, deren Licht in Wein gelöscht wird, symbolisiert das Ineinander von Heiligem und Alltäglichem in unserem Leben. Die Gewürze wollen uns den Wohlgeruch des Schabbats auf unseren Weg durch die Woche mitgeben.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg  


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