Bar-Mizwa beziehungsweise Firmung/Konfirmation

Freude am Erwachsenwerden: Bar-Mizwa beziehungsweise Firmung/ Konfirmation.


Eine jüdische Stimme

Kurzfassung

Im Judentum gelten Mädchen mit 12 und Jungen mit 13 Jahren als erwachsen, das heißt, in der Lage, Verantwortung für das eigene religiöse Leben und für die Erfüllung der Gebote vor Gott und den Menschen zu übernehmen. Von diesem Zeitpunkt an werden sie als „Bar Mitzwah“ bzw. „Bat Mitzwah“, als „Sohn/Tochter der Verpflichtung“, betrachtet und sind selbst verantwortlich für das Halten der Gebote. Erst seit dem Mittelalter begehen Jungen den Beginn dieser neuen Lebensphase mit einer Zeremonie, zu der das Rezitieren der Torah im Gottesdienst, ein Lehrvortrag und das Anlegen der Tefillin (Gebetsriemen) gehören. Von nun an werden sie zum Minjan, also des für bestimmte Gebete und Rituale notwendigen Quorums von zehn Männern, gerechnet. Für Mädchen bildeten sich erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts verschiedene Formen heraus, um die Bat Mitzwah zu feiern.

Die Vorbereitungen für die Bar/Bat Mitzwah ziehen sich bei Kindern je nach Vorwissen und Gemeindepraxis über ein bis drei Jahre hin. Im Gottesdienst legen sie zum ersten Mal ihren Tallit an und tragen den Wochenabschnitt der Torah ganz oder teilweise vor, meist in der traditionellen musikalischen Rezitationsweise. Dazu kommt noch die Haftarah, die Prophetenlesung, in Hebräisch oder in der Landessprache. Danach folgt eine kurze Predigt, manchmal wird auch ein Teil des Gottesdienstes vorgebetet. Daran schließt der Kiddusch, ein festlicher Imbiss, in der Gemeinde an und danach wird im privaten Rahmen mit Familie und Freundeskreis weitergefeiert.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


Langfassung

Ab wann gilt ein Mensch als erwachsen? Wann sind Jugendliche in der Lage, für die Gestaltung ihres Lebens Verantwortung zu übernehmen? Wie ist dieser Zeitpunkt zu bestimmen? Jedes Kind ist anders und wir wissen auch, dass die verschiedenen Aspekte von Erwachsensein – religiöse Selbstbestimmung, Volljährigkeit vor dem Gesetz, selbständiger Lebensunterhalt, Familiengründung – an unterschiedliche Lebensalter geknüpft sind. Dennoch gibt es den Wunsch, das Ende der Kindheit und die Aufnahme in die Welt der Erwachsenen mit einem Ritual zu einem bestimmten Zeitpunkt festlich zu begehen. 

Die ersten Hinweise auf eine Bestimmung der einzelnen Entwicklungsphasen finden sich in der nachbiblischen, rabbinischen Literatur. Die Mischnah (Traktat Pirkej Awot 5:21) beschreibt altersgemäße Reife eines jungen Menschen so:

„Im Alter von fünf Jahren zum Torahstudium,

im Alter von zehn Jahren zum Mischnahstudium,

im Alter von dreizehn Jahren zu den Geboten,

im Alter von fünfzehn Jahren zum Talmudstudium,

im Alter von achtzehn Jahren zum Traubaldachin,

im Alter von zwanzig Jahren zum eifrigen Streben (Lebensunterhalt).“

Die Übernahme von Verantwortung für das eigene religiöse Leben, die Erfüllung der Gebote vor Gott und den Menschen wird auf das Alter von dreizehn Jahren datiert. Das setzt einen Prozess von Erziehung und Bildung vor diesem Zeitpunkt voraus und fällt mit der Pubertät, also dem Vorgang der körperlichen Reifung zusammen. Deshalb unterschied das Judentum in dieser Hinsicht zwischen Jungen und Mädchen: Jungen galten ab einem Alter von 13 Jahren und einem Tag als erwachsen, d.h. zur Ausübung der Gebote verpflichtet, Mädchen bereits ab einem Alter von 12 Jahren und einem Tag. Mit diesem Zeitpunkt wurden sie als „Bar Mitzwah“ bzw. „Bat Mitzwah“, als „Sohn/Tochter der Verpflichtung“, betrachtet. In religiösem Recht zählten sie nun als Erwachsene und waren selbst verantwortlich für das Halten der Gebote in ihrem Lebenswandel.

Doch erst seit dem Mittelalter ist überliefert, dass das Erreichen des Status von Erwachsenen mit einer Zeremonie begangen wurde. Und dann auch nur mit Blick auf die Jungen: Sie wurden als Teil des Minjan, also des für bestimmte Gebete und Rituale notwendigen Quorums von zehn Männern, gezählt. Ein Junge wurde nach seinem 13. Geburtstag erstmals zur Torah aufgerufen, trug den ganzen Wochenabschnitt oder einen Teil davon sowie die jeweilige Prophetenlesung vor. Der Vater sagte einen Segensspruch, mit dem er dafür dankte, nun von der religiösen Verantwortung für den Sohn befreit zu sein. Nachdem Gottesdienst gab es ein Festmahl der Familie, zu der Verwandte und Freunde eingeladen wurden. Der Junge hielt einen Lehrvortrag und begann, wochentags die Tefillin (Gebetsriemen) zu legen.

Für Mädchen gab es kein Ritual, dass ihr Erwachsenenwerden feierte. Manchmal übernahmen jüdische Familien deshalb die Praktiken der nichtjüdischen Umgebung, z.B. in Lateinamerika die Feier des 15. Geburtstags. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde innerhalb des Liberalen Judentums die Ersetzung der Bar Mitzwah durch die Konfirmation propagiert. Man wollte den Fokus des Rituals erweitern: Nicht vorrangig synagogale Fertigkeiten sollten im Zentrum stehen, sondern die feierliche Bekräftigung der Zugehörigkeit zum Judentum vor der ganzen Gemeinde. Außerdem verschob man den Zeitpunkt nach hinten, auf das Alter von 15 Jahren, weil dies eher der persönlichen Reife zu entsprechen schien. Die ganze Religionsklasse dieses Jahrgangs feierte im Rahmen des Gottesdienstes zum Schawuot-Fest ihren Eintritt ins religiöse Erwachsensein. 

Immerhin eröffnete diese neue Praxis nun auch die Einbeziehung der Mädchen: Auch sie nahmen an der religiösen Unterweisung der Gemeinden teil und wurden mit ihrer Klasse, festlich in weißen Kleidern, gefeiert. Die Idee der Konfirmation war natürlich bei den christlichen Nachbarn abgeschaut, aber den jüdischen Inhalten angepasst worden. Die erste offizielle Bat Mitzwah, also eine dem traditionellen Ritual vergleichbare individuelle Zeremonie für Mädchen, ist aus dem Jahr 1922 dokumentiert, als Judith Kaplan, die Tochter des bekannten Rabbiners Mordechai Kaplan, in New York im Rahmen eines Schabbatgottesdienstes aus der Torah vortrug und die Segenssprüche darüber sagte. Wirklich durchgesetzt hat sich die Feier der Bat Mitzwah erst im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklungen um die Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter. Im Liberalen Judentum, das seit den 1970er Jahren Männer und Frauen zu sämtlichen religiösen Funktionen zulässt, sind die Feiern von Jungen und Mädchen gleich gestaltet.

Die Vorbereitungen für die Bar/Bat Mitzwah ziehen sich bei den Kindern je nach Vorwissen und Gemeindepraxis über ein bis drei Jahre hin. Es geht um Religionsunterricht und um Hebräischkenntnisse, denn der Wochenabschnitt der Torah oder wenigstens ein Teil davon sollen im Gottesdienst vorgelesen werden, meist in der traditionellen musikalischen Rezitationsweise. Dazu kommt noch die Haftarah, die Prophetenlesung, in Hebräisch oder in der Landessprache. Danach folgt eine predigtähnliche Ansprache; manchmal wird auch ein Teil des Gottesdienstes vorgebetet. Die Jugendlichen legen zum ersten Mal ihren Tallit an, der ihnen von der Familie geschenkt wird. Daran schließt der Kiddusch an, ein festlicher Imbiss, den die Familie für die Gemeinde ausrichtet. Je nach Geschmack und Geldbeutel wird danach im privaten Rahmen mit Familie und Freundeskreis weitergefeiert. Rabbiner*innen und Gemeinden mahnen immer wieder, die materielle Ausstattung dieser Feierlichkeit und das Ausmaß der Geschenke nicht ausufern zu lassen und darüber den Anlass, das religiöse Erwachsenwerden und das Bekenntnis zum Judentum, zu vernachlässigen. Manche Jugendlichen „adoptieren“ ein soziales Projekt, mit dem sie sich im Rahmen ihrer Bar/Bat-Mitzwah-Vorbereitung auseinandersetzen und überlegen, wie sie mit dessen Unterstützung zur Verbesserung der Welt beitragen können. Andere beschäftigen sich mit der Biographie eines in der Schoah ermordeten Kindes und lassen es symbolisch an der Zeremonie teilhaben. Einige Familien drücken ihre Verbundenheit mit jüdischer Geschichte und dem Staat Israel aus, indem sie die Bar Mitzwah ihrer Söhne an der Kotel, der westlichen Befestigungsmauer des Jerusalemer Tempels, abhalten.

Auch im orthodoxen Judentum ist es mittlerweile üblich, dass Mädchen ihre Bat Mitzwah festlich begehen. Je nach Prägung der jeweiligen Synagoge oder Familie kann das auf dieselbe Weise erfolgen wie das Ritual für Jungen, nur eben inmitten eines Frauengottesdienstes, oder in Gestalt des Lichterzündens und einer Ansprache am Freitagabend. In sefardischen Kreisen ist in den letzten Jahren die Zeremonie des „Challah-Absonderns“ populär geworden, wo sich die Freundinnen zum Zubereiten der Schabbatbrote treffen, Torahworte hören und gemeinsam singen. In etlichen Reformgemeinden ist die Tradition der Konfirmation beibehalten worden. Dann wird die Bar/Bat Mitzwah als individuelle Feier nach dem 13. Geburtstag begangen und nach zwei weiteren Jahren in der Jugendgruppe noch einmal mit 15 mit der ganzen Religionsklasse die gemeinsame Konfirmation. Gelegentlich ist auch zu erleben, wie Erwachsene ihre Bar/Bat Mitzwah nachholen, die sie als Jugendliche nicht begehen konnten: Meist sind es Frauen, in deren Jugend es nicht üblich war, auch das Erwachsenwerden von Mädchen zu feiern. In Israel organisiert man für Schoah-Überlebende oder für Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion Bar-Mitzwah-Zeremonien an der Kotel.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


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