Schawuot beziehungsweise Pfingsten

Spirit, der bewegt: Schawuot beziehungsweise Pfingsten.


Eine jüdische Stimme

Kurzfassung

Schawuot wird genau fünfzig Tage nach dem Pessachfest begangen und feiert die Offenbarung der Torah am Sinai. Eigentlich ist jede Torahlesung ist eine Vergegenwärtigung dieses Ereignisses, beim „Fest der Gabe der Torah“ aber noch einmal besonders, denn es werden die Zehn Gebote vorgetragen, die eine direkte Ansprache Gottes an Israel waren. Dieser Akt wird als eine Art Hochzeit zwischen Gott und Israel verstanden, und die Torah ist der Ehevertrag, der die gegenseitige Hingabe und Verpflichtung beider Liebender darlegt. Ein Sinnbild dieser Treue ist das biblische Buch Ruth, das dem Wochenfest als besondere Lesung zugeordnet ist.

Schawuot ist eines der drei Wallfahrtsfeste und hat wie diese auch eine landwirtschaftliche Dimension. Es wird auch als „Fest der Erstlingsfrüchte“ bezeichnet, weil es den Beginn der Weizenernte und des Reifens der Sommerfrüchte in Feld und Garten markiert. Zum besonderen Festtagsopfer zu Tempelzeiten gehörte das Darbringen von Weizenbroten. Heute ist das Fest vor allem wegen des Tikkun, einer Lernnacht, populär, bei der man sich gemeinschaftlich bis in die frühen Morgenstunden dem Torahstudium hingibt. Wach gehalten wird man dabei durch die Vielzahl süßer und herzhafter Gerichte aus Milch und Käse, die dem Fest seinen besonderen Geschmack geben.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


Langfassung

Die Synagoge ist mit grünen Zweigen geschmückt, viele Menschen sind weiß gekleidet: Heute geht es zum Sinai! Schawuot ist das Fest der Gabe der Torah. Wie das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten am Fuß des Berges Sinai stand und vernahm, dass Gott die Zehn Gebote gab, so stehen auch wir in der Synagoge und lauschen dem Vortrag der Torah. In dem wir die in Ex 19-20 berichteten Ereignisse vergegenwärtigen, verschmelzen die Zeiten und wir werden selbst Teil der Menge, der die Torah gegeben wird.

Schawuot gehört wie Pessach und Sukkot zu den drei Wallfahrtsfesten, an denen es üblich war, zum Tempel in Jerusalem zu pilgern. Aber neben diesen beiden großen, sieben Tage lang gefeierten und mit reicher Symbolik beladenen Feiertagen wirkt dieses Fest auf den ersten Blick etwas farblos: Es wird an nur einem Tag gefeiert (in traditionellen Gemeinden in der Diaspora zwei Tage) und es hat kein biblisches Narrativ, das seine Geschichte erläutert. Lediglich sein Festtagsopfer wird benannt, und auch dieses kann seit der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahr 70 n. nicht mehr dargebracht werden. So hat das Fest über die Zeiten hinweg verschiedene Inhalte aufgenommen, die sich in seinen vier Namen wiederspiegeln:

Wochenfest bzw. Schlussfest

In der deutschen Übersetzung von Schawuot als „Wochenfest“ erkennt man eine Besonderheit dieses Feiertags: In der Torah wird nicht dessen genauer Termin benannt, sondern lediglich bestimmt, dass er fünfzig Tage nach dem Pessachfest begangen werden solle. Diese sieben Wochen nach Beginn von Pessach werden Omer-Zeit genannt. Über die tägliche Zählung dieser neunundvierzig Omer-Tage nähert man sich Schritt für Schritt Schawuot, das dann auf den fünfzigsten Tag fällt. Heute wissen wir zwar, dass das Wochenfest immer auf den 6./7. Siwan des jüdischen Kalenders fällt, aber dennoch wird die Omer-Zählung als allmähliche Vorbereitung auf den erneuerten Akt der Offenbarung beibehalten. Der Name „Schlussfest“ verweist auf den Abschluss der Periode der Omer-Zählung, die mit Pessach begann. Schawuot ist nun das andere Ende der Klammer, die diese Zeit umschließt.

Fest der Erstlinge

Alle drei Wallfahrtsfeste haben entsprechend ihrer Lage im Jahr auch eine landwirtschaftliche Bedeutung als Erntefest. Zu Tempelzeiten pflegte man, nach Jerusalem zu pilgern, um dort neben dem speziellen Festtagsopfer auch die Erstlingsfrüchte der Ernte darzubringen. Zu Schawuot wurde besonders der Beginn der Weizenernte gefeiert und Weizenbrote dargebracht. Daneben galt es als Auftakt der Reife der Sommerfrüchte und erhielt daher den Namen „Fest der Erstlinge“.

Fest der Gabe der Torah

Mit der Zeit wurde aber die Erinnerung an die Gabe der Torah am Sinai zum zentralen Inhalt des Wochenfestes. Die Torah beschreibt zwar eindrücklich diese Situation, in der die Zehn Gebote geoffenbart wurden (Ex 19-20). Es war eine Situation der direkten Begegnung zwischen Gott und dem Volk Israel, der Beginn des Bundes, der ein besonderes Verhältnis begründet und beide Seiten zu Loyalität und Treue verpflichtet. Häufig wird dieser Bundesschluss deshalb auch als eine Trauzeremonie allegorisiert, für die die Torah den Ehevertrag (Ketubbah) darstellt. Eine andere Lesart deutet die Torah als die Braut von Israel, mit der sich das Volk am Sinai vermählte.

Die heute üblichen Festtagsbräuche vereinen alle diese Aspekte von Schawuot. Die Synagogen werden mit grünen Zweigen geschmückt, denn einer Legende zufolge habe sich der Berg Sinai begrünt, als die Torah gegeben wurde. Im Gottesdienst werden die Zehn Gebote vorgetragen und die dafür erhebt sich die Gemeinde, denn auch Israel stand zu Füßen des Berges. In aschkenasischen Synagogen ist es Brauch, zu Beginn der Lesung Akdamut Milin, ein langes Gedicht in aramäischer Sprache zu singen, das vermutlich im 11. Jahrhundert verfasst wurde. Es besingt Gott als den Schöpfer, der die Welt regiert und Israel mit der Torah begnadete. In der sefardischen Tradition ist es üblich, ein Poem des Dichters Israel Najara (1555-1628) zu singen. Es heißt „Mein Geliebter stieg in seinen Garten hinab“ und greift die Bilder des Hohelieds auf, das als Metapher für die Liebe zwischen Gott und Israel gelesen wird. Dieses Gedicht wird auch „Schawuot-Ketubbah“ genannt, weil es vom Hochzeitsvertrag zwischen Gott und Israel handelt, in dem die beiden Liebenden ihre Hingabe und ihre Verpflichtungen zueinander zum Ausdruck bringen. Dieser Vertrag ist die Torah, und so wird eigentlich jedes Jahr zu Schawuot dieser Hochzeitstag gefeiert.

Wie könnte man die Torah besser ehren, als indem man sie studiert? Auf die jüdische Mystik geht die Praxis des Tikkun Lejl Schawuot zurück, nämlich die ganze Nacht aufzubleiben und die Torah selbst, andere heilige Schriften oder Kommentare zu studieren. Idealerweise hält man das bis zum Sonnenaufgang durch, hält dann den Morgengottesdienst – und ruht sich danach aus.

Dem Wochenfest ist als besondere Festtagslesung (Megillah) das biblische Buch Ruth zugeordnet. Ein äußerlicher Grund dafür ist die jahrzeitliche Entsprechung, denn diese Geschichte spielt zur Zeit der Weizenernte. Wichtiger aber sind der Charakter und das Handeln der Hauptperson. Die Moabiterin Ruth hängt sich in selbstloser Liebe ihrer Schwiegermutter und dem Volk Israel, ohne aus dieser Verbindung Vorteile ziehen zu wollen. „Wo du hingehst, will auch ich hingehen, wo du schläfst, will ich schlafen, dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott“ (Ru 1, 16). Damit wird sie zur idealen Konvertitin, die sich Israel allein um der Torah willen anschließen. Ruth wird später zur Urgroßmutter von König David, an dessen Nachkommen sich wiederum messianische Hoffnungen knüpfen. Diese biblische Erzählung verdeutlicht, welch zentrale Rolle Außenseiter und gering geachtete Menschen (in diesem Fall eine Frau und Ausländerin) in der Erlösungsgeschichte einnehmen.

Schawuot ist berühmt für seine kulinarische Tradition der Milchspeisen. Käsekuchen, mit Quark gefüllte Crepes, Eiscreme, Pizza und andere herzhafte Gerichte aus Milchprodukten, je nach familiären und regionalen Traditionen, kennzeichnen die Feiertagsküche. Der Ursprung dieses Brauchs ist unklar, die Torah selbst sagt dazu nichts, aber eine häufige Erklärung bezieht das auf den Zahlwert des hebräischen Worts für „Milch“, nämlich 40, was der Anzahl der Tage entspricht, die Moses auf dem Berg Sinai verbrachte, um die Torah geoffenbart zu bekommen.

In der meist säkular geprägten Kibbuzbewegung stand vor allem der landwirtschaftliche Charakter des „Festes der Erstlinge“ im Mittelpunkt der Feierlichkeiten. Die Menschen kleideten sich weiß, flochten sich Blumen ins Haar und stellten in Festumzügen in Stadt und Dorf die Ernte des letzten Jahres aus: Getreidegarben und Früchte aus Feld und Garten, auch Nachwuchs von Tier und Mensch. In den letzten Jahrzehnten sind diese Ernteparaden aus der Mode geraten, aber vor allem in Israel ist die Verbindung von Schawuot mit den Geschenken der Natur weiterhin stark präsent und findet seinen Ausdruck im Nachdenken über die Fragen von Ökologie und menschlicher Verantwortung für die Schöpfung.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


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