Wundervoll: Chanukka beziehungsweise Weihnachten.
Eine jüdische Stimme
Kurzfassung
Wenn ringsum alle Zeichen auf Advent und Weihnachten stehen, feiern Jüdinnen und Juden Chanukka. Acht Tage lang wird das jüdische Lichterfest begangen, das an den Aufstand der Makkabäer gegen die Griechen im 2. Jahrhundert v.d.Z. erinnert. Nach schweren Kämpfen wurde der geschändete Jerusalemer Tempel erobert und wiedereingeweiht. Ein kleines Ölkrüglein reichte wundersam aus, um den Leuchter acht Tage lang am Brennen zu halten. Darum zünden Jüdinnen und Juden an der achtarmigen Chanukkiah jeden Tag ein Licht mehr an, bis am achten Tag alle acht Kerzen brennen. Die wachsende Kraft des Lichts strahlt Hoffnung aus und lässt die Dunkelheit weichen.
Chanukkah ist ein Fest der kulturellen Selbstbehauptung. Beim abendlichen Lichterzünden versammeln sich Familie und Freunde; sie stellen die Chanukka-Leuchter ins Fenster, um der Welt von Gottes Wundern zu erzählen. Singen, spielen, Geschenke für die Kinder und in Öl gebackene Köstlichkeiten wie Latkes und Pfannkuchen machen jeden Abend zu einem Fest.
– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg
Langfassung
Um die Wintersonnenwende, wenn die Tage am kürzesten sind, haben Menschen ein großes Verlangen nach Licht. Dunkelheit bedrückt die Seele und belastet den Körper, und wenn die Sonne fehlt, vermitteln wenigstens Kerzen Geborgenheit und Hoffnung. Es ist deshalb nicht überraschend, dass viele Religionen in dieser Jahreszeit Feste feiern, in denen Licht eine große Rolle spielt. Das jüdische Lichterfest heißt Chanukka und fällt immer in die Zeit zwischen Ende November und Anfang Januar.
Dabei heißt Chanukka „Einweihung“, und meint die Einweihung des Altars im Jerusalemer Tempel nach dessen Wiederherstellung. Dieses Fest wird nicht in der Hebräischen Bibel, sondern in den apokryphen Makkabäerbüchern überliefert und nimmt uns mit auf eine Zeitreise in das 2. Jahrhundert v.d.Z.: Unter griechischer Oberherrschaft stehend verbreitete sich auch im Land Israel die hellenistische Kultur. Griechisch wurde die Sprache der Oberschicht, Theater und Stadien wurden gebaut, selbst Kernbereiche wie der Betrieb des Heiligtums und das Amt des Hohepriesters unterstanden dem regierenden Seleukidengeschlecht. Als König Antiochos Epiphanes IV. diese Entwicklung forcierte, den Tempel in ein Heiligtum für Zeus umwandelte, Beschneidung und jüdische Religionsausübung verbot, formierte sich der Widerstand traditionellerer Kreise des Judentums. Ein Aufstand (167-164 v.d.Z.) unter Führung des Makkabäers Mattatias und seiner fünf Söhne brach los, und nach langen Kämpfen, die Befreiungskrieg und Bürgerkrieg zugleich waren, wurden Jerusalem und der Tempel erobert. Nach achttägigen Aufräumarbeiten im verwüsteten Heiligtum wurde der Altar geweiht und die Gottesdienste wiederaufgenommen. Das Erste Makkabäer-Buch (1 Makk 4:51-54) berichtet über diese Ereignisse:
„Es geschah am 25. Tag des neunten Monats, welcher Kislew ist (,,,), dass sie früh am Morgen aufstanden und Ganzopfer auf dem neuen Altar darbrachten, gemäß ihrer Bestimmung. An eben diesem Tage weihten sie den Altar ein, den die Heiden entweiht hatten, brachten Gott Lobpreis dar mit Gesängen, Harfen, Flöten und Zimbeln. Sie fielen auf ihr Angesicht und knieten nieder vor Gott, der ihnen Kraft und Rettung hatte zuteilwerden lassen. Sie feierten die Weihe des Altars acht Tage lang, und brachten in ihrer Herzensfreude Ganzopfer und Dankopfer dar.“
Das erste Chanukkafest handelte also von der Weihe des Altars und der nun wieder möglichen Fortführung des Opferkults. Von einem Ölwunder berichten die Makkabäer-Bücher nichts, die Begründung für Chanukka als Lichterfest findet sich erst viel später im Babylonischen Talmud (Traktat Schabbat 21b). Demzufolge hätten die Aufständischen, als sie den Tempel eroberten, nur ein versiegeltes Krüglein mit geweihtem Öl für das Zünden der großen Menorah gefunden, gerade ausreichend, um den Leuchter einen Tag lang am Brennen zu halten. Auf wundersame Weise aber reichte die Menge des Öls acht Tage lang, bis neues Öl bereitstand. In der Art, wie Chanukka heute gefeiert wird, verschmolzen diese Versionen: Wir feiern acht Tage lang die Tempelweihe und tun dies durch das tägliche Anzünden von Lichtern an einem speziellen Leuchter (Chanukkiah). Entsprechend den historischen Berichten beginnt das Fest gemäß dem jüdischen Kalender am 25. Kislew und endet am 3. Tewet.
Über die Zeiten hinweg wurden die einzelnen Aspekte des Festes unterschiedlich betont. Die Rabbiner wollten nach dem Trauma des vernichtend geschlagenen Bar-Kochba-Aufstands (132-135 n.d.Z.) keine weiteren Rebellionen ermutigen und stellten das Ölkrüglein und die von Gott bewirkte Vermehrung des Lichts in den Vordergrund. Mit Beginn der jüdischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wurden jedoch die Makkabäer wieder wichtige Identifikationsfiguren – Souveränität im eigenen Land, errungen durch Kampf und Stärke, war das Ziel. Das Schicksal müsse in die eigene Hand genommen werden. Heute werden diese beiden Narrative nicht mehr als Gegensatz verstanden. Chanukka ist ein Fest der Selbstbehauptung, die nur durch Stolz auf die eigene Kultur und durch Bewahrung der Traditionen erreicht werden kann. Und auch moderne Menschen bedürfen manchmal der Wunder, um Kraft zu schöpfen und zugleich die Grenzen der eigenen Macht zu erkennen. Die Botschaft des zunehmenden Lichts, das Zuversicht und Hoffnung in einer Zeit der Dunkelheit vermittelt, zieht alle in den Bann.
Jeden Abend trifft man sich in der Familie, im Freundeskreis oder in der Gemeinde, um zusammen die Lichter zu zünden. Über die acht Tage hinweg wird jeden Abend ein weiteres Licht angezündet, bis am achten Tag alle acht Kerzen am Leuchter brennen. Dabei wird u.a. dieser Segensspruch gesagt:
„Diese Lichter zünden wir an wegen der Wunder, der Großtaten, der Hilfe und der Tröstungen, die du für unsere Vorfahren in jenen Tagen zu dieser Zeit gewirkt hast durch deine heiligen Priester. Deshalb sind diese Lichter während der acht Tage des Chanukka-Festes heilige Lichter. Sie sollen uns nicht zum alltäglichen Gebrauch dienen, sondern nur angeschaut werden, damit wir dir danken für die Zeichen deiner Treue, für deine Hilfe und für deine Wunder.“
Die Chanukkiah, der während des Festes verwandte Leuchter, hat acht Arme plus einen weiteren, den sogenannten „Diener“ („Schamasch“), mit dem die übrigen Lichter angezündet werden. Es macht keinen Unterschied, ob die Chanukkiah für Kerzen oder für Öldochte ausgelegt ist. Wichtig ist nur, dass die Lichter mindestens eine halbe Stunde lang brennen und nicht als Beleuchtung dienen, weshalb im Raum immer Lampen angeschaltet sind. Meist werden die Leuchter ins Fenster gestellt, um mit ihrem Licht der Welt Kunde vom Chanukka-Wunder zu geben. Beim Zünden wird die überaus populäre Hymne „Maos Zur“ gesungen, die in fünf Strophen von verschiedenen Stufen der Erlösung erzählt, die Gott für Israel in der Geschichte bewirkte: der Auszug aus Ägypten, die Rückführung aus dem Babylonischen Exil, die Rettung der Juden in Persien vor Hamans Vernichtungsabsicht, der Sieg gegen die Griechen und Hellenisten. Manche Gemeinden fügen auch eine sechste Strophe hinzu, die von künftiger Erlösung handelt.
Das Wunder vom Ölkrüglein findet auch einen kulinarischen Niederschlag, denn typisch für Chanukka sind in Öl gebackene Speisen wie Latkes (Kartoffelpuffer), Sufganijot (Berliner), Donuts, Krapfen und dergleichen. Allseits beliebt ist das Spiel mit dem Trendel (auch Dreidel oder hebräisch: Sewiwon genannt): Ein Kreisel mit vier Buchstaben, die für den Satz „Ein großes Wunder geschah dort“ stehen, wird gedreht, und je angezeigtem Buchstaben müssen die Mitspieler einen Einsatz in die Spielkasse geben oder können etwas daraus gewinnen. Die Kinder dürfen sich auf Chanukka-Geld oder andere Geschenke freuen.
Freilich ist es nicht leicht, den eigenen Feiertag innerhalb einer Mehrheitskultur zu behaupten, wo Weihnachtsdekorationen und christliche Festsymbole alles dominieren. Adventsfeiern in Kindergärten, Schule und Arbeitsplatz, Weihnachtsprogramme in den Medien; Häuser, Straßen und Plätze sind mit überbordenden Lichterketten und –installationen, Engeln und Weihnachtsmännern geschmückt – es ist schwer, dagegen dem eigenen Fest Geltung zu verschaffen. Mitunter ist scherzhaft die Rede von „Weihnukka“: Vor der Schoah hatten manche liberalen jüdischen Familien einen Weihnachtsbaum bei sich stehen, weil sie dies als Teil der deutschen Kultur und nicht als christliches Symbol auffassten. Heute findet man allenfalls noch Jolka-Tannen bei jüdischen Zuwanderern aus der früheren Sowjetunion, die am 1. Januar „Nowy God“, das Neue Jahr, feiern. Aber auch in jüdische Haushalte halten Lichterketten und Dekorationen mit Chanukka-Motiven Einzug, und die Geschenke für die Kinder werden üppiger. In den USA ist es gebräuchlich geworden, zu Heiligabend chinesisch essen zu gehen, weil viele der anderen Restaurants geschlossen sind. Da in Deutschland ein großer Teil der jüdischen Kinder in gemischtreligiösen Familien aufwächst, wo ein Elternteil oder die Großeltern nicht jüdisch sind, steht jeder Haushalt vor der Herausforderung, für sich zu bestimmen, wie gefeiert wird, damit sich alle wohlfühlen.
– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg
#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst