B’reschit beziehungsweise Im Anfang

Freude am Wort Gottes: B´reschit beziehungsweise Im Anfang.


Eine christliche Stimme

Kurzfassung

Die Bibel enthält „Gottes Wort im Menschenwort“. Jedes Menschenwort in der Bibel ist göttlich inspiriert ist bei seiner Entstehung und kann als Gottes Wort heute und für mich oder für uns wirken.

In christlichen Gottesdiensten wird sehr selten eine Vollbibel verwendet. Die biblischen Textabschnitte, die vorgetragen werden, sind im mehrbändigen Lektionar abgedruckt. Manchmal können für die Lesung aus den Evangelien zusätzlich kostbare Evangeliare vorhanden sein.

Diese Bücher können liturgisch verehrt werden, durch Prozessionen, Küssen, Weihrauch und Kerzen.

In Deutschland gibt es die Besonderheit des Ökumenischen Bibelsonntags, der immer Ende Januar in großer ökumenischer Verbundenheit gefeiert wird.

Bei der Auslegung des Bibeltextes ergänzen sich wissenschaftliche, liturgische, pastorale und individuelle Zugänge. Die Bibel inspiriert uns, denn „… in ihrem Innern (= der Bibel) hallt das Lachen des Menschen wider und fließen die Tränen, so wie sich das Gebet der Unglücklichen und der Jubel der Verliebten erhebt.“

– Dr. Katrin Brockmöller, Direktorin Katholisches Bibelwerk e.V.


Langfassung

„Wort des lebendigen Gottes.“ – „Dank sei Gott.“

„Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.“ – „Lob sei dir, Christus.“

Mit diesem Lobpreis antwortet die Gemeinde in der katholischen Liturgie auf die Lesung. Immer wieder neu wird die Frage diskutiert, ob und wie jede Lesung tatsächlich „Wort des lebendigen Gottes“ ist. Dabei hilft eine grundsätzliche Unterscheidung des II. Vatikanischen Konzils: Die Bibel enthält „Gottes Wort im Menschenwort“. Denn jeder Bibeltext ist im doppelten Sinn des Wortes „Wort des lebendigen Gottes“. Einerseits, weil jedes Menschenwort in der Bibel göttlich inspiriert ist (und trotzdem menschlich in allen Facetten bleibt!) und anderseits, weil durch und im biblischen Text Gott auch in unsere konkrete Gegenwart „sein Wort“ heute spricht. „Gottes Wort ist in den vielen Worten“, so drückte es Bischof em. Joachim Wanke aus.

Dabei wird in christlichen Gottesdiensten an Sonntagen sehr selten eine Vollbibel verwendet. Die biblischen Textabschnitte, die nach der Leseordnung als Lesungen oder Evangelium vorgetragen werden, sind im mehrbändigen Lektionar abgedruckt. Für den Vortrag ist der Text mit Überschriften, Sinnzeilen u. ä. vorbereitet. Das Lektionar selbst ist ein schön gestaltetes aber relativ einfach gehaltenes Buch. Manchmal können für die Lesung aus den Evangelien zusätzlich eigene Evangeliare vorhanden sein, die dann in der Regel mit kostbaren Stoffen wie Seide eingeschlagen und mit Edelsteinen oder anderen wertvollen Applikationen verziert sind.

Das „Wort Gottes“, das im Lektionar (oder auch das Evangeliar) anwesend ist, wird in unterschiedlicher Weise in den verschiedenen christlichen Gottesdiensten verehrt. In der katholischen Tradition kann es bereits bei einem feierlichen Einzug aus der Sakristei durch den Kirchenraum und damit durch das Volk zum Altar und dann zum Ambo getragen werden. Das Buch kann mit Küssen verehrt werden oder mit Weihrauch und Kerzen in einer feierlichen Prozession begleitet werden. Nach den Lesungen bleibt das Buch meist am Ambo liegen oder es gibt einen Ort, an dem das Buch offen präsentiert werden kann. Häufig wird das Lektionar (oder Evangeliar) am Ende des Gottesdienstes beim Auszug vom liturgischen Dienst wieder in die Sakristei mitgenommen.

Die Leseordnung der christlichen Kirchen sind anders organisiert als die jüdische Leseordnung. Es gibt kein einziges Buch oder eine Buchgruppe, die vollständig gelesen wird. (Einzig das Stundengebet in den Klöstern betet alle Psalmen durch.) Weder im dreijährigen katholischen Lesezyklus, noch in den sechs Jahren der evangelischen Predigttexte noch im ökumenischen „Revised Common Lectionary“ (1992) ist Vollständigkeit das Ziel, wobei die reformierte Kirche in der Tradition Zwinglis die lectio continua einzelner Bücher weiter praktiziert.

Die katholische Ordnung wurde zuletzt nach dem 2. Vatikanischen Konzil überarbeitet und ist so aufgebaut, dass jeweils ein Jahr lang ein Evangelium durchgängig (aber nicht vollständig!) gelesen wird (A: Matthäus, B: Markus, C: Lukas, Johannes v.a. an Feiertagen). Dieser Lesung aus dem Evangelium sind eine thematische Lesung aus einem alttestamentlichen Text sowie eine Bahnlesung (Abschnitt für Abschnitt) aus einem der Briefe, aus der Apostelgeschichte oder der Offenbarung zugeordnet. Diese thematische Zuordnung von Texten aus dem Alten Testament auf die Perikopen der Evangelien wird heute sehr kritisch bewertet. Denn eine Wertschätzung in ihrem Eigenwert wird durch die Art der sehr begrenzten Auswahl und ihrer „Dienstfunktion“ im Blick auf das Evangelium kaum möglich. Zudem fehlt einfach ein großer Bereich aus der gesamten Fülle der Bibel.

Auch die liturgische Gestaltung bevorzugt das Evangelium. Eine Prozession, Gesang mit Halleluja, das sich vor dem Hören mit dem Kreuz bezeichnen, das Stehen der Gemeinde … all das ist deutlich unterschieden von dem stillen Hören im Sitzen der alttestamentlichen, aber auch der neutestamentlichen Lesungen vor dem Evangelium.

In der 2018 veröffentlichten Neuordnung der Perikopenordnung der EKD war eine stärkere und vor allem eigenständige Wahrnehmung alttestamentlicher Texte ein leitendes Motiv.  Nach der Revision stammen jetzt immerhin ein Drittel der vorgeschlagenen Predigttexte aus dem Alten Testament.

„Die Liturgie ist nur der Ort der Wiederholung“, so tröste ich manchmal Frauen und Männer, die in Bibelkursen plötzlich merken, welch große Teile der Schrift im Gottesdienst nicht vorkommen. Dabei ist das gesamte biblische Wort immer präsent, wenn auch manchmal nur in stellvertretender Erinnerung an andere Texte. Wer außerhalb der Liturgie in Lectio-Divina oder anderen Formen, allein oder mit anderen, immer tiefer mit den großartigen biblischen Textwelten vertraut wird, kann beim Hören selbstständig Zitate, Anklänge, Gegensätze, Ergänzungen und weitere Facetten aufnehmen.

Neben Gottesdiensten mit Eucharistie oder Abendmahl kennen alle christlichen Kirchen eine große Vielzahl weiterer liturgischer Formen und Gebete. Die Lesung von Schrifttexten und das Gebet mit Schrifttexten (vgl. die Psalmen im Stundengebet) stehen dabei im Mittelpunkt. Immer häufiger werden auch längere Textabschnitte oder ganze Bücher in liturgischen Formen gefeiert.

Das liturgische Jahr beginnt in den christlichen Kirchen mit dem 1. Advent. In der Adventszeit bereiten sich alle vier Wochen lang auf das Hochfest der Geburt Jesu Christi vor. Das Weihnachtsfest ist mit viel Brauchtum, Tradition und vor allem mit dem Fokus auf die Geburt Gottes als Kind verbunden. Aus biblischer und auch liturgischer Perspektive könnte man etwas frech sagen: Weihnachten ist eigentlich mindestens auch ein „Wortfest“. Wir feiern, dass das göttliche Wort tatsächlich Fleisch geworden ist. Dass Gott so konkret gegenwärtig ist, dass sein „Wort“ mit uns lebte. In der Weihnachtsnacht prägen die Texte über die Geburt die Lesungen, am Weihnachtstag selbst aber wird der Prolog des Johannesevangeliums (vgl. Joh 1,1-18) gelesen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. 2 Dieses war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch das Wort geworden, und ohne es wurde nichts, was geworden ist. …“

Der liturgische Festkreis orientiert sich am Leben und Sterben Jesu (von der Geburt im Winter über Tod und Auferstehung im Frühjahr) und zwischen diesen beiden geprägten Zeiten begleiten die Lesungen das Leben Jesu nach dem jeweiligen Jahresevangelium.

In Deutschland gibt es die Besonderheit, dass seit 1976 jährlich der Ökumenische Bibelsonntag von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), dem Katholischen Bibelwerk e.V., der Deutschen Bibelgesellschaft und der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste der EKD und dem Liturgischen Institut in Trier gemeinsam vorbereitet wird. In diesem außerordentlichen ökumenischen Verbund feiern evangelische, katholische, orthodoxe und freikirchliche Gemeinden ihren Glauben verbunden im Wort der Schrift. Der Termin ist jeweils am letzten Sonntag im Januar (31. Januar 2021) und es steht das gemeinsame Hören und Auslegen der Bibel in den Gottesdiensten im Mittelpunkt. Im Jahr 2019 hat Papst Franziskus zudem einen weltweiten Sonntag des Wortes Gottes offiziell eingeführt, dessen praktische Durchführung die Deutsche Bischofskonferenz aufgrund der besonderen ökumenischen Situation in Deutschland mit dem Termin des Ökumenischen Bibelsonntags verbunden hat.

Für die Auslegung des Bibeltextes gibt es in den christlichen Kirchen sehr unterschiedliche Orte und viele verschiedene Methoden und Zugänge. Zwar ist in der Theorie die Auslegung der Bibeltexte während einer Eucharistiefeier (folgt man den Vorgaben des katholischen Kirchenrechtes) dem Priester (oder Diakon) vorbehalten, die Praxis ist aber sehr viel bunter. Mein Eindruck ist, dass sich aktuell die unterschiedlichen, wissenschaftlichen, pastoralen und individuellen Zugänge immer mehr ergänzen, sich auf Augenhöhe begegnen und einfach im, mit und durch den Text das ganz normale Leben in göttlicher Weise inspiriert wird. Ganz einfach deshalb, weil die Bibel vom Leben erzählt: „… in ihrem Innern (= der Bibel) hallt das Lachen des Menschen wider und fließen die Tränen, so wie sich das Gebet der Unglücklichen und der Jubel der Verliebten erhebt.“ (Schlussdokument der röm. Bischofssynode „Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche, Nr. 5 (2008).

Meine persönliche Hoffnung und Motivation ist die Erfahrung, dass „die göttlichen Worte mit den Lesenden wachsen“. (Gregor der Große, 6. Jh.)

– Dr. Katrin Brockmöller, Direktorin Katholisches Bibelwerk e.V.


#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst

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