Sukkot beziehungsweise Erntedankfest

All die guten Gaben: Sukkot beziehungsweise Erntedankfest.


Eine jüdische Stimme

Kurzfassung

Bunt geschmückte Laubhütten, aus denen das Klappern von Geschirr und Singen nach draußen dringen, sind das Zeichen für Sukkot. Dieses siebentägige Fest mit seinen vielen Farben und Symbolen wirkt wie ein Kontrast zu den gerade erst zu Ende gegangenen Hohen Feiertagen ganz in Weiß. Und doch führt uns auch das sinnenreiche Sukkot vor Augen, dass wir nicht die Kontrolle über unser Leben haben und wie wenig in unseren Händen liegt. Darum erinnert uns die Nachahmung der provisorischen Behausungen während der Wüstenwanderung daran, dass wir auf den Schutz Gottes angewiesen sind. Die Wände der Laubhütte sind dünn, durchlässig zur Welt, man hört alle Geräusche ringsum, und sie bieten keinen Schutz gegen Kälte und Gefahren.

Sukkot drückt auch den Dank für die Früchte des Feldes und des Gartens aus. Die Ernte ist eingebracht, erst jetzt ist Zeit zum Feiern. Es ist üblich, Gäste in die Laubhütte einzuladen – Familie, Freunde und Nachbarn, aber auf eine imaginäre Weise gesellen sich zu uns auch bedeutende Gestalten der Bibel und der jüdischen Geschichte. Sie alle helfen uns, das wichtige Gebot des Festes zu erfüllen: Fröhlich zu sein und sich über den Reichtum in unserem Leben zu freuen.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg


Langfassung

„Das Laubhüttenfest sollst du sieben Tage lang feiern, wenn du den Ertrag einbringst von deiner Tenne und deiner Kelter. Und du sollst an deinem Fest fröhlich sein, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, der Levit, der Fremde, die Waise und die Witwe, die an deinem Ort wohnen. Sieben Tage lang sollst du dem Ewigen, deinem Gott, das Fest feiern an der Stätte, die der Ewige erwählen wird, denn der Ewige, dein Gott, wird dich mit all deinem Ertrag und bei aller Arbeit deiner Hände segnen, darum sollst du fröhlich sein.“ (Deut 16, 13-15)

Kaum ist Jom Kippur zu Ende gegangen, da sind auch schon die ersten Hammerschläge für den Bau der Sukkah zu hören. Eine Hütte aus Holzwänden oder Zeltplanen entsteht, mit einem durchlässigen Dach, das nur aus Zweigen und Blättern besteht. Gerade erst haben wir zu den Hohen Feiertagen über die Neuordnung mancher Aspekte unseres Lebens nachgedacht, da ziehen wir auch schon symbolisch in eine dünnwandige Hütte, die uns auf eine ganz sinnliche Weise spüren lässt, was Unsicherheit und Vertrauen bedeuten. Das zentrale Gebot von Sukkot besteht darin, für sieben Tage die eigene stabile, warme Wohnung mit einer provisorischen Behausung zu vertauschen. Das soll uns die Wüstenwanderung vergegenwärtigen, als die Menschen ebenfalls in behelfsmäßigen Unterkünften lebten. Ihre ganze Existenz war ein Provisorium, eine Übergangsphase zwischen dem Aufbruch aus der Sklaverei und dem Ankommen im eigenen Land.

Die Laubhütten sind bunt geschmückt mit Girlanden, Obst, Kinderzeichnungen und Bastelarbeiten, aber die entscheidende Sache ist das Laubdach, das ganz durchlässig ist: Es soll nur aus abgeschnittenen Pflanzenteilen bestehen und gerade so dicht gedeckt sein, dass durch Löcher noch die Sterne zu sehen sind. Man ist darin Kälte und Regen ausgesetzt, und das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die menschliche Schutzbedürftigkeit. Nicht in die Annehmlichkeiten unseres Wohlstands sollen wir unser Vertrauen setzen, sondern in das Behütetsein durch Gott. Durch das Wohnen in der Sukkah sollen wir uns bewusstwerden, dass die gewohnte Stabilität und Planbarkeit unseres Lebens eine Illusion ist. Wir sollen uns für einige Tage dieser Erfahrung von Ungewissheit aussetzen, damit wir diese Erkenntnis nicht nur mit dem Kopf verstehen, sondern mit allen Sinnen. Freilich entspricht dieses Konzept eher dem nahöstlichen Klima – im mitteleuropäischen Herbst ist es in der Regel nicht möglich, tatsächlich in der Sukkah zu wohnen. Je nach Witterung werden dort aber wenigstens die Mahlzeiten eingenommen, auch zum Torahstudium und zum geselligen Zusammensein trifft man sich in der Laubhütte.

Einzigartig für das Laubhüttenfest ist die Verpflichtung, fröhlich zu sein – drei Mal erwähnt die Torah dieses Gebot. Besonders zu biblischen Zeiten, unter den Bedingungen einer agrarischen Gesellschaft, markierte dieses Fest auch den Abschluss der Ernte und wurde deshalb besonders ausgelassen gefeiert. Die Früchte von Feld und Garten waren eingebracht, die in der Landwirtschaft Tätigen hatten nun eine wohlverdiente Pause, und so wurde Sukkot auch als Erntedankfest begangen:

„Der Ewige, dein Gott, wird dich mit all deinem Ertrag und bei aller Arbeit deiner Hände segnen, darum sollst du fröhlich sein.“ (Deut 16, 15)

Zur Festtagsfreude gehört auch die Gastfreundschaft. Es ist üblich, sich gegenseitig in der Sukkah zu besuchen und gemeinsam zu essen. Aus dem Mittelalter stammt der Brauch, besondere „Uschpisin“ (aramäisch: „Gäste“) einzuladen. Bei ihnen handelt es sich traditionell um die biblischen Gestalten von Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Aharon, David und Josef, die uns mit ihrer unsichtbaren, jedoch segenbringenden Anwesenheit beehren. Plakate mit ihren Namen schmücken viele Laubhütten. In den letzten Jahren ist üblich geworden, auch bedeutende Frauen aus biblischen oder späteren Zeiten als „Uschpisot“ einzuladen, die Sukkah mit ihren Namen oder Bildern zu dekorieren und an ihre Verdienste zu erinnern.

Ein eigentümliches Ritual zu Sukkot ist das Schütteln des Gebindes der Vier Arten, das schon in der Torah erwähnt wird:

„Und am ersten Tag sollt ihr euch schöne Baumfrüchte nehmen, Palmwedel und Zweige von dichtbelaubten Bäumen und Bachweiden, und ihr sollt sieben Tage fröhlich sein vor dem Ewigen, eurem Gott.“ (Lev 23, 40)

Dieser Feststrauß, auch „Lulaw“ genannt, besteht aus einem langen Palmzweig, zwei Bachweidenzweigen, drei Myrthenzweigen und dem Etrog, einer speziellen Zitrusfrucht. Die ursprüngliche Bedeutung dieser Zusammenstellung liegt im Dunklen. Eine Interpretation hebt darauf ab, dass das Gebinde aus diesen so diversen Pflanzenarten die Einheit Israels symbolisiert. Andere Erklärungen beziehen sich auf die Verbindung der einzelnen Arten zum Wasser. Der Lulaw wird täglich während des Hallel-Gebets (Ps 113-118) in alle vier Himmelsrichtungen, nach oben und nach unten geschüttelt.

Neben den Komponenten von Erntedank und Erinnerung an nationale Geschichte (Israels Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten) hat das Laubhüttenfest auch einen ganz universalistischen Ausblick. Zu Tempelzeiten wurden während der sieben Tage von Sukkot insgesamt siebzig Stiere als Opfer dargebracht, je einen für die traditionell siebzig Völker der Welt. Das greift die Vision des Propheten Secharja auf, dass eines Tages alle Nationen zum Laubhüttenfest nach Jerusalem pilgern werden, um Gott als Souverän der Welt anzuerkennen (Sach 14).

Sukkot gilt als eine Zeit des göttlichen Gerichts über Wasser, denn jetzt entscheidet sich, wieviel lebensspendender Regen dem Land (Israel) im kommenden Jahr zuteilwird. Viele der Rituale zu Sukkot haben Wasser zum Inhalt, denn wenn es im nun beginnenden Winter nicht genug regnet, drohen Dürre, Hunger und Not. Regen steht auch im Fokus des unmittelbar an Sukkot anschließenden Feiertags Schemini Atzeret. Vielen ist er vor allem für sein Regengebet bekannt. Der Kantor trägt einen Kittel, das traditionelle Sterbegewand, und trägt ein Poem voll biblischer Bezüge vor, an dessen Ende die flehentliche Bitte erklingt:

„Begnade uns mit Wassermengen, denn du bist der Ewige, unser Gott,

der den Wind wehen und den Regen fallen lässt.

Zum Segen und nicht zum Fluch.

Zum Leben und nicht zum Tod.

Zur sättigenden Fülle und nicht zum Mangel.“

Über viele Jahre wurde das Flehen um Regen in hiesigen Breiten eher belächelt und als ein Relikt unserer auf den Nahen Osten verweisenden Liturgie betrachtet. Aber nachdem auch hierzulande sich der Klimawandel bemerkbar macht und mehrere regenarme Jahre in Folge sichtbare Schäden in Natur und Landwirtschaft hinterließen, gewinnt dieses Thema an neuer Aktualität. So erinnern uns die Laubhütte zu Sukkot und das Regengebet zu Schemini Atzeret daran, dass wir nicht losgelöst von der Natur existieren können und unser Leben von einer Haltung der Dankbarkeit geprägt sein sollte.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg  


#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst

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