Sukkot beziehungsweise Erntedankfest

All die guten Gaben: Sukkot beziehungsweise Erntedankfest.


Eine christliche Stimme

Kurzfassung

Zum Erntedankfest sind die Kirchen und Altäre mit allerlei Früchten des Feldes bunt geschmückt. Gottes reichhaltige Schöpfung wird sicht- und greifbar. An diesem Fest steht der Dank für die Gaben der Natur im Mittelpunkt. Dahinter steht die Erfahrung, dass sich der Mensch nicht sich selbst verdankt. Die christliche Tradition sieht – ebenso wie die jüdische Tradition – Gott als den Schöpfer der Welt, der ihr Leben und Nahrung schenkt. Gleichzeitig erinnert das Fest daran, dass die Gaben der Schöpfung gerecht verteilt werden sollen.

In der liturgischen Feier des Erntedankfestes werden die Erntegaben, die den Altar schmücken, gesegnet, wird für die Ernte gedankt und um ein solidarisches Miteinander mit den Notleidenden gebetet. Im Anschluss werden die Gaben, die den Altar schmücken, häufig an bedürftige Menschen verschenkt.

Neben den Gottesdiensten ist das Erntedankfest von einem sehr reichen und regional unterschiedlichen Brauchtum geprägt. So gibt es Umzüge, Prozessionen und Erntetänze sowie Stadt- oder Dorffeste, bei denen das gemeinsame Essen und Trinken eine große Rolle spielt.

– Dr. Christiane Wüste,
Referentin für biblische und liturgische Bildung
Haus Ohrbeck


Langfassung

Rund um den Altar stapeln sich Kürbisse, Kartoffeln, Weintrauben und weitere Arten von Obst und Gemüse. Häufig ist auch eine aus Getreide geflochtene Krone in der Kirche aufgerichtet. In manchen Kirchen gibt es „Teppiche“ aus Blumen oder Körnern und Brote, die mit Erntemotiven verziert werden. Ein buntes und lebendiges Bild zeigt sich dort, wo sonst häufig nur eine weiße Spitzendecke, ein Blumentopf und ein Kreuz den Altar schmücken. Der Alltag und die Welt von draußen sind in die Kirche eingezogen. Gottes reichhaltige Schöpfung wird sicht- und greifbar. Das Erntedankfest ist ein Feiertag, dessen Sinn sich sehr leicht erschließen lässt – was vermutlich auch zur großen Beliebtheit und breiten Verankerung dieses Festes im Christentum führt.

Erntedankfeste gibt und gab es vermutlich in allen Kulturen in Vergangenheit und Gegenwart. Der Zeitpunkt der Feierlichkeiten kann dabei variieren: je nach Erntefrucht und Kontinent bzw. Klimazone. Während im Judentum alle drei großen Wallfahrtsfeste (Pessach, Schawuot und Sukkot) einen Erntebezug haben, sind in der christlichen Tradition verschiedene kleinere Feste und Anlässe mit dem Erntethema verbunden: Im katholischen Brauchtum verankert ist beispielsweise die Kräuterweihe am 15. August. Dabei werden Heilkräuter und Blumen gesegnet als Zeichen, dass in der Natur Gottes Heilkräfte wirken und der Mensch dadurch – auch umfassend – „heil“ werden kann. Weniger verbreitet und praktiziert, aber mit einer langen Tradition verbunden sind die Quatembertage. Schon in den ersten christlichen Jahrhunderten finden sich in der römischen Tradition mehrmals im Jahr Fasttage zur Zeit der Getreide-, Wein- und Olivenernte: die sogenannten Quatembertage (d.h. „vier Zeiten“), die jeweils am Beginn der Jahreszeiten liegen. Sie sind vermutlich als christliche Reaktion auf heidnische Erntefeste zu deuten. Inwieweit hier alttestamentliche oder jüdische Traditionen im Hintergrund stehen, ist umstritten. Während die Tage ursprünglich eher Bußcharakter hatten, verstärkte sich im Mittelalter und der Neuzeit der Aspekt der Fürbitte für das gute Wachstum der Feldfrüchte und der Abwehr böser Mächte. Aus Ablehnung diverser volkstümlicher Praktiken in dem Zusammenhang entwickelte sich nach der Reformation daraus sowohl der Buß- und Bettag wie auch das Erntedankfest.

Während die Quatembertage in der katholischen Tradition aktuell nur noch eine untergeordnete Rolle spielen und Feste wie die Kräuterweihe am 15. August häufig nur eine regionale Bedeutung haben, erfreut sich das Erntedankfest im gesamten mitteleuropäischen Christentum großer Beliebtheit und wird dort im Herbst gefeiert.

Es ist das einzige Fest des liturgischen Jahres, das ausschließlich auf das Naturjahr bezogen ist. Somit ist es grundsätzlich ein bewegliches Fest, das je nach Klimazone oder Kontinent zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert werden kann. Dass es keinen festen Platz im liturgischen Kirchenjahr hat, hat jedoch noch einen weiteren Grund: Während das Kirchenjahr grundsätzlich eine Entfaltung des sogenannten Paschamysteriums ist, d.h. an das Leben, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi sowie die Erwartung seiner Wiederkunft erinnert (vgl. die Feste Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Christkönig), hat das Erntedankfest keinen Bezug zu diesen verschiedenen „Stationen“ des Lebens Jesu.

In Mitteleuropa hat sich für die Feier des Erntedankfestes der Herbsttermin durchgesetzt. In der katholischen Kirche ist der 1. Sonntag im Oktober üblich, in der evangelischen Kirche der 1. Sonntag nach Michaelis (29. September). Regional kann es allerdings unterschiedliche Termine geben, die sich z.B. an der Weinlese oder anderen Ernteterminen orientieren. In den USA wird das Fest „Thanksgiving“ beispielsweise erst Ende November gefeiert. Trotz der unterschiedlichen Terminmöglichkeiten gibt es aber festgelegte Texte für die Liturgie des Erntedankfestes.

Die liturgischen Texte kreisen um Themen wie Dankbarkeit für die Gaben der Schöpfung und die Mahnung zu einem solidarischen Miteinander. Dtn 8,7-18 etwa, Lesungstext in der katholischen und evangelischen Tradition, schildert den natürlichen Reichtum des von Gott geschenkten Landes, schärft aber gleichzeitig ein, nicht hochmütig und undankbar zu werden, sondern sich der eigenen (Sklaven-)Geschichte bewusst zu sein und zu wissen, dass dieser Reichtum erst von Gott her ermöglicht ist. Auch die Evangelientexte setzen diese Linie fort: So warnt in der katholischen Tradition das Gleichnis vom reichen Mann (Lk 12,15-21) vor Habgier und Selbstbezogenheit, während die Erzählung vom dankbaren Samariter (Lk 17,11-19) zu Dankbarkeit für Gottes Heilswirken aufruft. In der evangelischen Liturgie erinnert die Speisung der 4000 (Mk 8,1-9) an die großzügige Versorgung Gottes aller Menschen.

Die Gottesdienste zum Erntedankfest werden häufig besonders gestaltet: Ob als Familiengottesdienst oder in der evangelischen Kirche mit Abendmahlsfeier. In der Feier selbst werden die Erntegaben, die den Altar schmücken, gesegnet, wird für die gute Ernte gedankt und um ein solidarisches Miteinander mit den Notleidenden gebetet. Im Hintergrund steht die Erfahrung, dass sich der Mensch nicht sich selbst verdankt. Die christliche Tradition sieht – ebenso wie die jüdische Tradition – Gott als den Schöpfer der Welt, der ihr Leben und Nahrung schenkt. Daher wird Gott an diesem Fest für die Gaben der Natur gedankt. Gleichzeitig erinnert das Fest daran, dass die Gaben der Schöpfung gerecht verteilt werden müssen. Die soziale Verantwortung, die aus den reichen Gaben erwächst, und das Teilen mit den Bedürftigen sind zentrale Inhalte des Festes und zeigen sich symbolisch darin, dass die Erntegaben des Altarschmucks im Anschluss an die Gottesdienste zum Erntedankfest häufig an bedürftige Menschen verteilt werden.

In Zeiten und Räumen, die durch Industrialisierung, technologischen Fortschritt und Digitalisierung den unmittelbaren Bezug zur landwirtschaftlichen Ernte und die damit einhergehende Abhängigkeit verloren haben, kann das Erntedankfest für die grundsätzliche Verwiesenheit des Menschen auf die Natur und ihre Ressourcen sensibilisieren. In diesem Sinn kann das Fest als Erinnerung an die Bewahrung der Schöpfung und als Mahnung zum verantwortlichen Umgang mit der Natur verstanden und gefeiert werden.

Zu diesem erweiterten Blick auf die Schöpfung und den verantwortungsvollen Umgang damit trägt in der mitteleuropäischen katholischen Tradition sicher auch die zeitliche Nähe des Festes zum Gedenktag von Franz von Assisi am 4. Oktober bei: Für Franziskus war – entgegen der seinerzeit verbreiteten Auffassung einer negativen Sicht auf die diesseitige Welt – die gesamte Schöpfung eine gute Gabe Gottes. Franziskus ist für seinen „Sonnengesang“, das Lob Gottes durch die gesamte Schöpfung, berühmt. Da sich für Franziskus in der Schöpfung die Größe und die Güte Gottes zeigen, fordert das einen achtsamen und nachhaltigen Umgang mit ihr. Franziskus ist Patron des Umweltschutzes und sein Gedenktag gleichzeitig auch Welttierschutztag.

Neben der liturgischen Feier ist das Erntedankfest von einem sehr reichen und regional unterschiedlichen Brauchtum geprägt. So gibt es Umzüge, Prozessionen und Erntetänze sowie Stadt- oder Dorffeste, die damit verbunden sind, und bei denen das gemeinsame Essen und Trinken eine große Rolle spielt. Auch darin drückt sich der Dank für die Ernte und die gute Schöpfung sowie der Aufruf zu einem solidarischen Miteinander aus. Das Christentum gedenkt an Erntedank wie das Judentum an Sukkot der heilvollen Zuwendung Gottes zu dieser Welt. Doch während Sukkot zudem einen geschichtlichen Bezug hat, nämlich an das Überleben in der Wüste erinnert, und eins der drei Hauptfeste im jüdischen Jahr ist, spielt das Erntedankfest zumindest im offiziellen liturgischen Jahreskreis eher eine Nebenrolle und hat mehr volkstümlichen Charakter. Dennoch ist seine theologische Bedeutung und Botschaft nicht zu unterschätzen.

– Dr. Christiane Wüste,
Referentin für biblische und liturgische Bildung
Haus Ohrbeck


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