Namensgebung beziehungsweise Namenstag

Beim Namen gerufen: Namensgebung beziehungsweise Namenstag.


Eine christliche Stimme

Kurzfassung

„Jetzt aber – so spricht der HERR, der dich erschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir!“ (Jes 43,1)

Bei der Taufe wird der Ruf, den der Ewige an alle Menschen richtet, als Ruf-Name in die Taufformel eingebunden. Darin drückt sich die Gewissheit aus, dass wir als Menschen vom HERRN bei unserem Namen, der für uns als unverwechselbares Subjekt steht, angesprochen und „ausgelöst“, also erlöst sind.

Wir sind dadurch nicht nur mit dem Schöpfer verbunden, sondern Er auch mit uns. Schließlich wird jedes Kind „auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ getauft. Der dreifaltige Gott, der uns im Mutterleib gewoben hat, der unser Innerstes kennt (Ps 139), Er ruft uns beim Namen und wir dürfen Ihn beim Namen rufen. Das Christentum teilt die Überzeugung des Judentums: Der HERR kennt uns und liebt uns. Er schenkt uns einen Namen, damit wir uns zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickeln, aber auch auf seinen Ruf antworten und im Zweifel zu Ihm umkehren.

– Fabian Freiseis


Langfassung

„Jetzt aber – so spricht der HERR, der dich erschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir!“ (Jes 43,1)

Was der Prophet Jesaja uns vor Augen führt, ist ein Beziehungsgeschehen. Nicht nur zwischen dem Ewigen und den Menschen, sondern auch zwischen den Menschen. Wir sind als Personen ansprechbar, möchten miteinander in einen Austausch treten, Erfahrungen und Erlebnisse teilen.

Mit dem Namen teilt uns der Ewige Seinen Segen mit. Als Christen glauben wir daran, an der Verheißung, die an Jakob – also an das Volk Israel – erging, Anteil zu haben. Christen sind getauft auf Christi Tod. Damit sind wir aber durch das Leben und Wirken eines Juden mit Gott verbunden. Der Jude Jesus, der für uns Christen die Brücke zu dem Bund ist, der in der Taufe – im Unterschied zur Beschneidung im Judentum – besiegelt wird.

In früheren Zeiten wurden Menschen nach dem Heiligen benannt, an dessen Gedenktag ihnen die Taufe gespendet wurde. Diese Tradition und die Bedeutung des Namenstags hält sich heute noch in den orthodoxen Kirchen und in der katholischen Kirche. Damit soll einerseits ausgedrückt werden, dass unser Name uns schützt, weil in der Namensgebung der Segen des Ewigen auf uns herabkommt, wie der Prophet Jesaja uns vor Augen führt.

Andererseits wird eine Verbindung unter den Menschen verstärkt: Als pilgerndes Gottesvolk sind wir von Generation zu Generation miteinander verbunden. Wie das Volk Israel zu Pessach in jeder Generation neu an den Auszug von der Unfreiheit in die Freiheit gedenken soll, so möchte die Namensgebung Christen daran erinnern, von Gott „ausgelöst“, erlöst zu sein – im Leiden, Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi. Der Name eines Heiligen kann Christen als Vorbild dienen, Gott und die Nächsten zu lieben, indem man deren guten Taten folgt. Man betet nicht Menschen an, sondern sieht diese als „lebende Tora“, als Richtschnur für das eigene, Gott und den Nächsten zugewandte Leben.

In vielen Namen, die Christinnen und Christen tragen, wird die Geschichte des Ewigen mit Seinem Volk deutlich: Sara, Rebekka, Lea und Rachel stehen für die vier Erzmütter, Abraham, Isaak und Jakob für die drei Erzväter. Wer als Christin oder Christ einen dieser Namen trägt, ist auch vom Namen her mit der Geschichte des jüdischen Volkes verbunden.

Der HERR ruft uns beim Namen, um uns ansprechen zu können. Nicht nur für Kinder kann es schamvoll sein, den Rufnamen in einer bestimmten Art und Weise zu hören. Im ersten Buch Mose lesen wir, wie der Ewige Kain anspricht und ihn fragt: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ (1. Mose 4,9) Die eigene Verfehlung wird Kain bereits in der Anrede deutlich. Er leugnet seine Tat zunächst. Doch gibt ihm die Anrede die Möglichkeit, zu erkennen: „Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie ertragen könnte“ (1. Mose 4,13). Damit beginnt die Umkehr Kains, die teschuwa, die in seinem Innersten durch Scham und Reue zur Erkenntnis verhilft, etwas Falsches, etwas Ungerechtes, etwas Böses getan zu haben. Kain ruft den HERRN an, der unsere Schuld, aber auch unser Leben nie vergisst – das wird deutlich, wenn wir lesen: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders erhebt seine Stimme und schreit zu mir vom Erdboden.“ (1. Mose 4,10). Der HERR vergisst uns nicht, selbst, wenn wir tot sind. Er vergisst auch unsere Schuld nicht, doch Er vergibt uns, wenn wir Ihn anrufen (Ps 130,3).

Umkehr zum Ewigen wird erst dann möglich, wenn jemand auf Seinen Ruf reagieren kann. Der Aufruf Jesu zur Umkehr, zur Metanoia, ist deshalb eine persönliche Anrede. Es kommt auf jede Einzelne, jeden Einzelnen an. Wie es im Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lk 15,4-7; Mt 18, 12-13) deutlich wird: Wir sind nicht allein, bleiben nicht in der Dunkelheit und ohne Schutz zurück. Der Ewige achtet auf uns und ruft uns auch dazu auf, immer wieder zu ihm umzukehren. Gerade aus der Dunkelheit der Sünde und der Schuld.

Deshalb möchte der Name eine Beziehung aufbauen. Zwischen dem Ewigen und den Menschen, aber auch innerhalb der religiösen Gemeinschaft. Namen geben uns die Möglichkeit, einen bestimmten Menschen anzusprechen. So gut wie der HERR, wie es im Psalm heißt, mich erforscht hat und mich kennt, weil er mein Innerstes geschaffen hat (vgl. Ps 139), kennt uns zwar kein anderer Mensch. Er will aber nicht, dass der Mensch allein ist (1. Mose 2,18): Wir sollen miteinander in einer Beziehung stehen, aufeinander achten (vgl. 1. Mose 4,9) und füreinander da sein. Unser Ruf bleibt damit allerdings eine Reaktion auf die Gnade des Ewigen, der die ganze Welt, uns selbst eingeschlossen, erhält. Der Name ermöglicht es uns, in eine Beziehung zu treten. Eine gute Beziehung zur Nächsten und zum Nächsten gehört zu einem guten Leben ebenso dazu wie eine gute Beziehung zu Gott.

Doch bleibt die Namensgebung nicht nur auf die Beziehung zum Schöpfer und zu den Menschen beschränkt: Wir sollen auch mit unserer Umwelt in einer Beziehung stehen, weshalb wir den Tieren und Pflanzen Namen geben (vgl. 1. Mose 2, 19f.). Es ist nicht so sehr ein Ausdruck von Herrschaft, sondern ein Beziehungsgeschehen, das darin zum Ausdruck kommt. Das Namenlose hat keine Bedeutung für uns, aber alles, was wir beim Namen rufen können, hat einen Wert, kann von uns zugeordnet, verstanden werden. So sind wir in die Welt gesandt, selbst Segen zu sein.

In der Vergangenheit haben Menschen immer wieder versucht, anderen Menschen den Namen zu nehmen, um damit auch jegliche Würde zu rauben. Der Ewige vergisst den Namen von Menschen aber nicht. Und Er ruft uns zu, Menschen nicht zu Namenlosen zu machen. Er fordert uns auf, keinen Menschen zu hassen und zu verfolgen. Das schließt die Religion und Herkunft, die den Menschen wie ein Name mit ausmacht, ein. Die Würde des Menschen ist unantastbar, also auch sein Name.

Menschen einen Namen zu geben ist nicht nur eine Frage der Vergegenwärtigung und des Gedenkens an den Götzendienst des Nationalsozialismus. Es bedeutet nicht nur, die Verantwortung zu übernehmen, in der Gegenwart und Zukunft nicht zu wiederholen, was schon einmal geschah: Mitzulaufen, selbst zu agitieren und zu verfolgen oder still zu bleiben, wenn wir laut den Namen unserer Nächsten und unseres Nächsten ausrufen sollten, um auf drohendes Unrecht hinzuweisen.

Menschen einen Namen zu geben und sie bei diesem Namen zu nennen, darin steckt eine Verheißung, eine Möglichkeit: Ein Mensch kann viele Ängste haben. Doch besteht die Angst zumeist darin, etwas nicht zu kennen, nicht einordnen zu können, nicht die Person zu sehen, sondern lediglich ein Vorurteil, eine Projektionsfläche, ein Abbild zu sehen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns in unserer Gesellschaft vertrauensvoll beim Namen nennen, aufeinander zugehen, in ein Gespräch eintreten und das abbauen, was sich ohne Name und Gesicht als Angst aufgebaut hat.

Der HERR hat uns aufgetragen, uns von Ihm kein Bild zu machen. Wir dürfen aber auch von uns Menschen keine Bilder machen. Mit einem Menschen „fertig“ zu sein, das ist eine Sünde, weil wir ein unverrückbares Bild von jemandem haben und dem Gegenüber jede Chance nehmen, sich zu erklären, sich zu ändern, umzukehren. Wir erheben uns an die Stelle des Ewigen, der aber allein unser Innerstes kennt und weiß, wer wir sind. Oder wir vergöttern jemanden und erheben diesen Menschen an eine Stelle, die ihr oder ihm nicht zukommen kann.

Einen Namen, eine Persönlichkeit mit allen Möglichkeiten an die Stelle von Bildern zu setzen, das hat uns der Ewige aufgetragen. Deshalb sollen wir einen Menschen niemals nur als den Repräsentanten einer Gruppe sehen, sondern als diesen individuellen Menschen mit seinem Namen und seiner Persönlichkeit. Die Namensgebung und der Namenstag stehen dafür, dass wir gesegnet sind vom HERRN her. Wir sind in eine Gemeinschaft mit Ihm, mit den Menschen und mit unserer Umwelt eingebunden und sollen selbst Segen sein. Das feiern Jüdinnen und Juden bei der Namensgebung. Das feiern Christinnen und Christen bei der Taufe und am Namenstag.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir!“

Fürchten wir uns nicht davor, den Ewigen anzurufen, zu Ihm zu beten. Fürchten wir uns nicht davor, uns als Menschen beim Namen anzusprechen, uns auszutauschen und uns immer wieder gegenseitig die Möglichkeit zur Versöhnung, Vergebung, aber auch zur gemeinsamen Freude über unser Leben einzuräumen. Gott hat uns dazu aufgerufen.

– Fabian Freiseis


#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst

Zurück zur Übersicht